Mittwoch, 11. Juni 2025
Umfragen
Meine Frau ist Pathologin. Die kann einen krank machen. Meine Frau sagt zu mir, dass ich nicht arbeitslos sein muss, nur weil ich Hartz 4 beziehe. Was soll das denn heißen, frage ich meine Frau, wenn man Hartz 4 bezieht, ist man doch arbeitslos. Ja, sagt sie, aber nur weil man arbeitslos ist, muss man nicht automatisch arbeitslos sein.
Ich verstehe meine Frau manchmal nicht und sie muss mir das jetzt mal erklären. Sie sagt, dass ich mich trotz Hartz 4 nützlich machen könnte. Ich könnte ja irgendwie eine kleine Aufgabe übernehmen und ein bisschen Geld damit verdienen. Oder fehlt mir die Motivation, fragt sie mich.
Nein, antworte ich ihr, es fehlt mir nicht die Motivation. Es fehlt mit an Nötigung, weil ich es ja nicht brauche. Ich bekomme doch Hartz 4, sage ich ihr. Ja, meint sie, aber ich könnte trotzdem was anderes machen, als immer nur dasitzen und aus dem Fenster schauen. Naja, denke ich, theoretisch könnte ich das machen, aber was soll ich denn tun?
Und dann fängt meine Frau an zu schwatzen und lässt mich von etwas wissen, was sie neulich erfahren hat. Im Internet, sagt sie, kann man Umfragen machen und ein bisschen was damit dazuverdienen. Umfragen, frage ich sie. Ja, Umfragen, sagt sie. Es ist nämlich so, dass die großen Konzerne an allen möglichen Informationen über ihre Kunden interessiert sind. Die wollen wissen, was man kauft und was man von ihren Produkten hält und wie man diese Produkte sieht.
Genau das verschwatzt sie mir und dann sage ich ihr aber, dass diese großen Konzerne doch ganz sicher an den normalen Leuten interessiert sind. Genau das, antwortet sie und nickt mir aufmunternd zu. Aber ich bin doch gar nicht einer dieser normalen Leute, sage ich dann. Was, fragt meine Frau. Du willst nicht normal sein? Natürlich bist du normal. Wenn du nichts zu tun hast, fällt dir nichts anderes ein, als vor dem Fenster zu sitzen und rauszuschauen. Das ist vollkommen normal, sagt meine Frau.
Naja und dann habe ich darüber nachgedacht und fand diese Sache doch interessant. Warum nicht, habe ich mir gesagt und bald darauf habe ich es mal versucht. Am nächsten Tag habe ich mich bei ein paar dieser Umfrageforen angemeldet und angefangen, mir die virtuosen Fragebögen anzuschauen. Es waren dann auch einigermaßen viele, wie man gut feststellen konnte und sie galten ganz unterschiedlichen Produkten und es war wirklich alles darunter, an das man nur denken konnte. Die großen Konzerne befragen einen zu allem und wirklich auch allem, an das man nur denken kann. Es gibt nichts, worüber sie nicht deine Meinung wissen wollen, egal, ob es eine Fluggesellschaft ist oder ein Potenzmittel, das einen angeblich abheben lässt. Alles ist darunter und wirklich alles.
Ich habe es dann mit einer dieser Umfragen versucht und musste dann aber erstmal meine persönlichen Angaben angeben. Sie wollten wissen, ob ich ein Mann oder eine Frau oder sonstwas bin. Das mit dem Sonstwas habe ich nicht richtig verstanden, aber man kann bei solchen Umfragen nicht nachfragen. Habe ich dann auch nicht gemacht und angegeben, dass ich ein Mann bin. Das war das und dann kamen auch schon die nächsten Fragen. Sie wollten wissen, was mein Alter ist und haben gleich dazu gesagt, dass ich unbedingt ehrlich sein sollte. Es macht keinen Sinn, wenn ein 16jähriger prahlen will, indem er sagt, dass er schon über 80 ist und deswegen sollte genau das unterlassen werden. Habe ich dann auch nicht gemacht, bin ja auch nicht 16 oder 80 und habe dann mein richtiges Alter angegeben. Ich bin männlich und 54 Jahre alt.
Das hatte ich dann schonmal angegeben, aber sie wollten tatsächlich noch mehr wissen. Als nächstes haben sie mich gefragt, was meine Postleitzahl ist. Sie wollten also wissen, in welcher Stadt ich wohne und in welchem Bezirk ganz genau. Normalerweise würde ich Informationen wie diese niemals rausgeben, aber es war ja schließlich so, dass mir für diese Umfrage ein Gesamtbetrag von 20 Cent in Aussicht gestellt worden war. Das hat mich überzeugt und dann habe ich ihnen eben meine Postleitzahl gegeben. Für mich war das vollkommen in Ordnung und dann aber sollte ich noch ein paar Fragen mehr beantworten, bevor wir richtig loslegen konnten. Als nächstes wollten sie wissen, ob ich ledig bin oder verheiratet. Das ist bei mir nicht ganz einfach zu sagen, weil ich in der Wohnung in jedem Fall verheiratet bin, im Bett aber vollkommen ledig. Das ist schon seit 10 Jahren so und wenn mir am Abend langweilig ist, setze ich mich vor das Fenster und schaue auf die Straße hinaus.
Aber ich wusste schon, was sie gemeint haben und ich konnte dann doch die richtige Antwort geben. Ich habe also ledig angeklickt und damit war auch das schon gelaufen. Das hatten wir dann also, aber es ging tatsächlich immer noch weiter. Als nächstes wollten sie von mir wissen, wen ich wähle. Das ist seltsam, weil ich als verheirateter Mann ja gar keine Wahl habe, aber dann ist mir aufgefallen, dass sie damit die politischen Parteien gemeint haben. Sie wollten also wissen, ob ich links bin oder rechts oder mich nicht so richtig entscheiden kann oder ob es mir unter Umständen egal ist. Ich sollte das entsprechende Feld anklicken und naja, ich habe dann auch das getan. Ich habe also meine politische Gesinnung angegeben und damit hatten sie auch das von mir erfahren. Gut, und dann waren wir tatsächlich soweit und nun konnte es richtig losgehen. Und jetzt in diesem Moment habe ich erfahren, zu welchem Produkt sie mich befragen wollten.
Es ging um Käsewürfel. Gemeint waren diese ganz kleinen Käsewürfel, die in einer durchsichtigen Plastikschale abgepackt werden und auf denen vorne eine glückliche Kuh zu sehen ist. Genau dazu wollten sie jetzt alles von mir erfahren.
Und dann ging es auch schon los und sie haben mir die erste Frage gestellt. Man wollte von mir wissen, ob mir diese Packung mit den Käsewürfeln schon mal in einem Supermarktregal aufgefallen war. Ich habe nein angegeben, weil ich diese Art Käsewürfel nicht kenne. Das war meine Antwort und nun gleich als nächstes wollten sie wissen, warum mir diese Käsewürfel nie aufgefallen waren. Liegt es daran, dass ich immer sehr schnell bin, wenn ich durch einen Supermarkt laufe oder liegt es daran, dass ich gar nicht an der Käsewand vorbeikomme? Oder gebe ich nichts auf Käse und schaue nie in diese Richtung? Naja, ich habe dann angegeben, dass sie nie da sind und sie mir deswegen nicht auffallen konnten.
Und genau das war die erste Frage, die sie hatten und dann ging es auch schon weiter im Text. Nun wollten sie etwas über meine Käsegewohnheiten wissen. Als was für einen Käsetyp würde ich mich beschreiben und was für ein Mensch bin ich denn so? Bin ich jemand, der sich selbstständig über Käse informiert oder sich von anderen Einkäufern zu diesem Thema beraten lässt? Höre ich anderen Menschen zu, wenn sie über Käse sprechen und äußere ich bei solchen Gelegenheiten selbst eine Meinung zu der Materie? Bin ich ein Kenner und kann mindestens zehn Käsesorten voneinander unterscheiden? Oder bin ich einer Käsetradition verbunden und kaufe Käse nur aus ganz bestimmten Ländern wie Frankreich oder Holland oder der Schweiz? Oder bin ich ein mehr heimatverbundener Käsetyp und kaufe nur Deutschen Käse? Genau das haben sie mich gefragt und wollten alles sehr genau wissen.
Das war das und dann haben sie mir weiter ihre Fragen gestellt und wollten noch mehr über diese Dinge wissen. Wenn ich zum Beispiel einen Käse kaufe, esse ich ihn dann am selben Tag noch auf oder teile ich ihn mir ein? Hält ein Käse für eine längere Zeit oder ist er schon am ersten Tag verschwunden? Und könnte ich mir vorstellen, dass ich einen Käse mit einer anderen Person teilen würde? Und wenn ja, wäre dieser Käse wie ein kleines Geschenk, das man jemandem gibt? Würde es mir Freude bereiten, den Käse zu teilen und würde ich ihn auch meinen Nachbarn anbieten? Würde ich ihn meiner Frau anbieten oder meinen Eltern oder meinen Kindern? Wäre ich stolz, jemandem einen Käse anzubieten und würde es mich freuen, wenn er den beschenkten Personen schmeckt? Und wäre solch ein Käse etwas, mit der ich in der Öffentlichkeit gerne gesehen werden würde?
Genau das wollten sie wissen und es ging für eine Weile so und danach kam dann der nächste Block an Fragen. Es ging weiter und jetzt sollte ich mir vorstellen, dass der Käse ein Mensch wäre. Ganz im ehrlich, ich sollte so tun, als wäre die Packung mit den Käsewürfeln ein personeller Mensch. Sie wollten, dass ich diesen Menschen beschreibe und dazu standen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Ist dieser Käse ein Nachbar, zu dem ich nur eine flüchtige Beziehung habe? Oder ist der Käse eine verwandte Person, zu der ich ein inniges Verhältnis habe? Oder ist der Käse eine heiße Liebesbeziehung, die nach einem Mal zu Ende war? Oder doch eine lange Romanze, an die man sich mit der Zeit gewöhnt hat? Oder er ist der Käse ein Mensch, den ich hasse und dem ich den Tod an den Hals wünsche? Genau das wollten sie wissen, aber es war schwer, eine Antwort zu geben, weil ich den Käse ja gar nicht kannte. Ich habe dann angegeben, dass er eine Frau ist, die ich mal gesehen, aber nie angesprochen habe. Es ging nicht anderes, denn die Option ‚kenne den Käse nicht‘ gab es nicht.
So, und das war es dann endlich. Damit waren wir am Ende dieser Befragung angekommen und ich hatte alle Angaben ordnungsgemäß gemacht. Und dann aber taucht vor mir eine Seite wie aus dem Nichts auf und man sagt zu mir, dass der Plausibilitätsalgorheuma erkannt hat, dass meine Antworten keinen Sinn ergeben. Meine Angaben haben sich widersprochen und waren unlogisch und aus diesem Grund konnten mir meine 20 Cent nicht ausgezahlt werden. Und das war es und ich hatte meine erste virtuose Umfrage hinter mich gebracht.
Naja. Danach habe ich dann mit meiner Frau darüber gesprochen und ihr gesagt, dass ich das nicht weiter machen wollte. Es ist mir zu anstrengend und außerdem bekommt man Vitamin A, wenn man zu lange auf einen Bildschirm schaut. Es war Schluss damit und ich habe dann wieder vor dem Fenster gesessen, wenn ich nichts zu tun hatte. Ist zumindest was Normales.

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